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Im vergangenen Jahr habe ich meinen ersten offiziellen Näh-Auftrag angenommen. Ich habe nicht so viele Bilder vom Fortschritt gemacht, wie ich wollte, aber die paar, die ich habe, will ich gerne teilen. Ganz am Ende gibt es außerdem ein paar Bilder der wunderschönen Braut in meinem Werk, was mich ganz außerordentlich stolz macht!
Die Frau meines besten Freundes hat mich gefragt, ob ich ihr für ihre Hochzeit ein Jäckchen zu ihrem Brautkleid nähen könnte. Die freie Hochzeit hatte das Motto Steampunk (ich hatte es schon mal erwähnt…) und die Braut hatte genaue Vorstellungen, die sich von der Stange nicht erfüllen ließen. Da bis zur Hochzeit genug Zeit war, habe ich zugesagt, denn im schlimmsten Fall wäre das Projekt nichts geworden und man hätte noch etwas kaufen können. (Was nicht bedeutet, dass ich jetzt Auftragsarbeiten annehme, ich betrachte das als Ausnahme!)
Das Jäckchen sollte cremefarben sein und damit zum Kleid passen, aber braune Akzente haben, die zum Hütchen passen, das sie tragen würde. Von der Form her sollte es ein Bolero mit halblangen Ärmeln werden. Außerdem sollte es offen getragen werden und keinen Verschluss haben. Wir haben ein bisschen nach Schnittmustern gesucht, aber nicht das perfekte Muster gefunden, weshalb ich auf die wilde Idee kam, ihr das Jäckchen direkt auf den Leib zu schneidern – das hatte ich ja schon ein ganzes Mal gemacht, was sollte also schiefgehen.
Die Braut schickte mir verschiedene Bilder mit den Details, die ihr gefielen und auf meine Bitte hin eine Zeichnung ihres perfekten Jäckchens, so dass ich wusste, worauf wir hinarbeiten.

Wir haben uns dann im November getroffen, ich habe etwas einfache Baumwolle zur Hand genommen und wild drauf los gesteckt. Die perfekte Form war schnell gefunden, denn ein Bolero-Jäckchen ist kein Hexenwerk. Um eine perfekte Passform zu erreichen habe ich im Rücken zwei wunderschöne Teilungsnähte gesteckt, die man auch bei viktorianischen Kleidungsstücken findet – ein Detail, das also perfekt zum Thema passte. Im Laufe des Nachmittags wurde zu meinem großen Glück immer klarer, dass wir genau die Form erreichen, die sich L. wünschte und ich konnte final zusagen, ihr das Jäckchen für ihre Hochzeit zu nähen.
Im Dezember haben wir uns dann getroffen und ihr Brautkleid durch einige Stoffläden in Mainz getragen, um den perfekten Stoff zu finden. Ich war sehr nervös und habe mich bemüht, so viele Aspekte wie möglich zu berücksichtigen. Wir haben den Stoff bei künstlichem Licht und bei Tageslicht mit dem Kleid verglichen. Ich habe ihn gemeinsam mit dem Kleid mit Handyblitz fotografiert, da ich von Fällen weiß, in denen der Blitz eine bittere Wahrheit offenbart und der Stoff auf einmal nicht mehr zum Kleid passt. Letzen Endes sind wir bei Karstadt fündig geworden und haben dort den perfekten Stoff mit leichtem Stand und etwas Dehnbarkeit in absolut gleichen Farbe ergattert. Futter und Garn kamen noch mit, außerdem ein brauner Organza für die gewünschten Rüschen.
Meine größte Herausforderung hatte ich dann, aus dem Probestück ein Schnittmuster zu erstellen. Ich wollte ein echtes Schnittmuster haben und musste reichlich darüber grübeln. Da es hier um eine absolute Maßarbeit ging, waren die Teile natürlich auch nicht gleich, wie man auf diesen Bildern hervorragend sehen kann. Ist es nicht spannend, wie man da erst wirklich sieht, dass kein Körper einfach gespiegelt werden kann? Erschwerend kam hinzu, dass L. im Gegensatz zu mir ein absolut zierliches Persönchen ist und die Probestücke weder mir noch meiner Schneiderpuppe passten – an einem Punkt habe ich eine Kollegin gefragt, ob sie den Zwischenstand anprobieren kann, da L. zwei Stunden von mir entfernt wohnt. Wir haben uns insgesamt nur drei Mal getroffen!

… und das finale Schnittmuster, das sich noch einmal leicht verändert hat. ... and the final pattern with all the additional changes.
Um die Ärmel habe ich mich etwas gedrückt. Irgendwann bin ich über ein wunderbares Video von Kleider für Julia gestolpert, das hervorragend erklärt, wie man sich selbst ausmessen kann und aus den Maßen dann ein Ärmel-Schnittmuster erstellt. Dieses Video habe ich L. geschickt, damit sie ihre Maße nehmen kann. Aus den Angaben habe ich dann ein Schnittmuster erstellt, das zu meinem allergrößten Erstaunen perfekt in mein Probestück passte. Wie sich herausstellte, hatte sich die Braut vermessen und die Ärmel waren viel zu eng, aber das ließ sich leicht beheben. So sah das Schnittmuster aus, nachdem ich es erst erstellt und später angepasst hatte. Die Mehrweite in der Armkugel, die durch die Anpassung entstanden ist, habe ich gerafft und so einen kleinen Puffärmel-Effekt erzielt, der letzten Endes ein weiteres Detail war, das perfekt zum Thema gepasst hat.

Im Januar haben wir uns zum dritten Anprobieren getroffen. Ich hatte ein letztes Probestück genäht, um die Passform und mein Schnittmuster zu prüfen, ehe ich den guten Stoff anschneiden wollte. Bei der Anprobe stellte sich heraus, dass die Ärmel zu eng sind, was wir direkt angepasst haben. Im Beisein der Braut war ich dann soweit, den eigentlichen Stoff anzuschneiden und habe die Basis des Jäckchens genäht. An diesem Tag hatte L. dann das erste Mal die Gelegenheit, sich so zu sehen, wie sie auf ihrer Hochzeit aussehen würde. Wir haben gemeinsam ihre Schuhe ausgewählt, ihren Schmuck angepasst, ihrem Kleid noch Träger angenäht und die Rüschen so am Jäckchen festgesteckt, dass sie das ganze Ensemble tragen konnte. Als sie dann feststellte, dass das Ergebnis genau das war, was sie sich erhofft hatte, ging mir wirklich das Herz auf!
Die Grundform des fertigen Jäckchens war somit fertig und es ging an die Feinarbeit. Den Organza habe ich in breite Streifen geschnitten und gefaltet und gerüscht, so dass die Rüschen doppelt lagen und einen guten Stand hatten. Die Rüschenstreifen habe ich übrigens mit der Overlock versäubert, weil sie so fürchterlich am ausfransen waren. Für ein ordentliches Innenleben des Jäckchens habe ich komplett für alle Kanten Belege gemacht. Die Rüschen wurden zwischen Jacke und Beleg eingenäht, damit sich ordentliche Kanten ergeben.

Mit dem Futter habe ich mich sehr schwer getan, denn wie man Futter einnäht habe ich bis heute nicht richtig verstanden. Mit dem Ergebnis war ich am Ende trotzdem recht zufrieden – und musste es dann doch eine Woche vor der Hochzeit wieder komplett raustrennen, weil es das Jäckchen zu eng gemacht hat! Dabei hatte ich so eine wunderschöne Handnaht für die Wendeöffnung gezaubert…

Damit das Jäckchen trotzdem ein halbwegs hübsches Innenleben hatte habe ich zwei Tage vor der Hochzeit eine Hongkong-Versäuberung vorgenommen. Bei dieser Methode werden alle offenen Nähte mit Schrägband eingefasst, was sehr hübsch aussieht – zumindest in der Theorie, wenn man es nicht erst als letzten Schritt macht. Das Ergebnis ist in Ordnung, aber nicht mehr. Aus Zeitgründen habe ich das Schrägband mit der Maschine eingenäht, von Hand hätte ich es ordentlicher hinbekommen. Aber letzten Endes waren alle offenen Nähte verdeckt, darauf kam es ja an. Und das Innenleben sieht eh fast niemand!
Und dann war es endlich soweit und das Bolerjäckchen hatte seinen großen Auftritt!
Was ich mir übrigens nicht nehmen lassen konnte, war mein Etikett einzunähen! Dank der tollen Fotografen gibt es sogar ein Bild von mir mit dem fertigen Werk, nachdem es Abends irgendwann zum Tanzen abgelegt wurde:
Und zu guter Letzt noch ein paar Impressionen des Jäckchens – der Dank für diese Bilder sowie die beiden letzten geht an Inna und Fabian Kromlinger vom Fotostudio Kromlinger in Raunheim. Die beiden sind den ganzen Tag vor Ort gewesen und haben von den Vorbereitungen bis hin zur Feier unzählige schöne Bilder gemacht!
Fazit: ich bin wirklich sehr sehr stolz auf das, was ich da genäht habe. Ich konnte der Frau meines besten Freundes, die ich durch diese Aktion sehr lieb gewonnen habe, einen großen Wunsch erfüllen.
Ich bin stolz, dass ich das Motto und die Vorlage gut getroffen habe. Meine noch bescheidenen Nähkünste wurden sehr gefordert, was mir aber sehr viel Spaß gemacht und mich viel gelehrt hat. Ich würde vieles wieder genau so machen, manches ganz anders. Die Braut hat wunderschön ausgesehen und zum Teil bin ich dafür verantwortlich. Alleine, das sagen zu können, ist ein wahnsinnig gutes Gefühl!
Liebe Lilia und lieber Daniel, vielen Dank, dass ich Teil eures besonderen Tages sein durfte! Ich wünsche euch ein Leben voller Glück und Zufriedenheit miteinander!
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